Migration und Integration: Wissen wir eigentlich was der andere darunter versteht?
Über Integration gibt es viele Vorstellungen. Es lohnt sich darüber zu sprechen, herauszufinden, was unser Gegenüber darunter versteht. Erst dann ist ein gemeinsamer Prozess zielgerichtet und erfolgsversprechend.
Was bedeutet Integration ?
Integration ist ein Allerweltswort: wir benützen es für Personen, welche einen anderen kulturellen Hintergrund haben und erwarten von Ihnen, dass sie sich in unserer Kultur integrieren. Oft geht es um Arbeitsintegration.
Bei diesem Thema sind nicht nur Menschen gemeint, die sich kulturell und sprachlich integrieren sollen, um eine entsprechende Leistung zu erbringen, sondern auch diejenigen, die eine körperliche oder psychische Beeinträchtigung haben. Manchmal soll sich jemand auch nur in einem Team oder einer Klasse integrieren, Regeln und Gewohnheiten akzeptieren, dazugehören, aufgenommen werden.
Erkenntnisse und Erfahrungen
Nach Jahren treffe ich Mohamed aus dem Sudan im Zug. Ich weiss, dass er Arbeit hat, und das freut mich. „Wie geht es dir?“, frage ich spontan. Seine Antwort trifft mich: „Jeden Tag integrieren, so anstrengend».
Für ihn bedeutet Integration Anstrengung, jeden Tag eine andere Sprache sprechen, neue Wörter dazulernen, sich konzentrieren, dass er alles versteht. Schweizerische Allgemeinbildung nachholen, Erwartungen erfüllen, Gewohnheiten anderer übernehmen, mit einer anderen Ausgangslage die gleiche Leistung wie andere erbringen.
Wie lange wird dieser Prozess dauern? Wer entscheidet, ob die Integration gelungen ist? Wann ist die Integration abgeschlossen? Wird es immer anstrengend sein, oder wird Mohamed auch einmal stolz sein auf das Erreichte, stolz sein dazuzugehören?
Aus der Sicht der Arbeitgeberin / des Arbeitgebers
Welche Vorstellung von Integration hat wohl Frau Silvia Pfister, die Chefin von Mohamed? Wo setzt sie die Prioritäten? Gilt es in erster Linie marktwirtschaftliche Kriterien zu erfüllen? Wie misst Sie den Output, legt sie mehr Wert auf Tempo oder auf Qualität?
Welche Schlüsselkompetenzen muss man im Betrieb mitbringen, welchen Stellenwert haben das Arbeitsklima und die individuelle Entwicklung am Arbeitsplatz? Welchen Spielraum hat Frau Pfister? Weiss Mohamed, was Frau Pfister von ihm erwartet? Erfüllt er diese Erwartungen schon und wenn nein, wie wird er dabei unterstützt? Fühlt er sich dazugehörig?
Erwartungen, Anstrengungen und Unterstützung in Bezug auf Integration gibt es in den meisten Betrieben. Oft spricht man aber nicht konkret darüber und somit bleibt einiges im Unklaren.
Aus der Sicht von Lernenden
Als Berufsschullehrerin habe ich gefragt, welche Assoziationen Lernende zum Thema Integration haben. Ihre Antworten waren treffend und vielseitig, sie reichten von „was meinen Sie damit“ bis Chancengleichheit.
Es kamen auch Begriffe wie Anpassung, Eingliederung, sich aufgehoben fühlen, Lernfähigkeit und Toleranz. Ihre Vorstellungen spiegeln nicht nur, wie weit das Feld ist, sondern auch wie heterogen Integration wahrgenommen wird.
Die Meinung von Fachpersonen
An einer Fachtagung zum Thema Arbeitsintegration, wollte ich herausfinden, was die Empfehlungen der Spezialisten ist. Eine veröffentlichte Studie der AOZ kommt zu folgenden Erkenntnissen und Empfehlungen:
Integration ist …
- subjektiv,
- individuell,
- stets mehrdimensional zu betrachten
- und immer auch abhängig vom System, in das integriert wird.
Die „Integration“, welche auf alle zutrifft, gibt es nicht. Die berufliche und soziale Integration sind so stark aneinandergekoppelt, dass man sie nicht isoliert angehen sollte.
Fazit
Integration ist ein Prozess und bedingt ein Prozessbewusstsein von allen Beteiligten. Am meisten Erfolge sind zu verzeichnen, wenn über Ziele und Erwartungen gesprochen wird, damit beide Seiten das Gleiche darunter verstehen und Hilfestellungen sowie wer für was verantwortlich ist, klar definiert werden.
Am Beispiel von Mohamed könnte das so aussehen. Damit Mohamed bei seiner Arbeit mehr Verantwortung erhält, muss er mehr Fachwortschatz auf Deutsch haben. Die Verantwortung diesen Wortschatz zu erwerben, liegt bei ihm, niemand anderes kann es an seiner Stelle tun.
Das Ziel kann nur dann erreicht werden, wenn sich beide Seiten über den zu erreichenden Wortschatz im Klaren sind. Ein Glossar über zentrale Begriffe, die im Betrieb benutzt werden, wäre ein erster Ansatz. Hilfreich wäre auch, wenn seine Kollegen mit ihm Hochdeutsch sprechen würden, statt wie gewohnt auf Schweizerdeutsch.
Integration ist ein gemeinsamer Prozess, eine gute Kommunikation und Lernfähigkeit sind auf beiden Seiten wichtig. Egal ob ich die Person bin, welche sich integrieren möchte oder die Chefin, Lehrerin, Kollegin welche Hilfestellungen anbieten kann. Mit anderen über Integration und konkrete Erwartungen zu sprechen ist nicht nur sinnvoll, sondern auch interessant. Sie werden es sehen, versuchen Sie es.
Wünschen Sie mehr zur Migration zu erfahren oder bewegt sich Ihre Karriere in diese Richtung?